23/12/2024

Die Druckerei der Hölle

Eine Anmerkung in Antwort auf Joachim Hirsch[1]

I Aus der Hölle schreiben: Zersetzende[2] Kritik

Ich beziehe meinen Standpunkt in der Druckerei der Hölle. Joachim Hirsch tut dies nicht. Das ist der Unterschied zwischen uns.

William Blake zufolge drucken die Teufel in der Druckerei der Hölle „nach der höllischen Methode, mit Ätzstoffen, die in der Hölle heilsam und zuträglich sind, indem sie die sichtbaren Oberflächen wegschmelzen und das Unendliche enthüllen, das darunter verborgen lag“[3] (Blake 1793/1988, 39). Der Schrei, mit dem mein Buch anfängt, ist ein Schrei aus der Hölle. Er führt eine negative Grammatik ein, eine theoretische Bewegung-gegen, die darauf abzielt zu zersetzen und "alle Verhaeltnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein veraechtliches Wesen ist" (MEW I, p. 385) zu zerstören: mit dem Ziel, das Unendliche, das verborgen lag, die gesellschaftliche Macht menschlichen Tuns, zu enthüllen.

Die Bewegung der Theorie ist negativ, zersetzend, zerstörerisch. Marx ist eine Säure, die unaufhörlich alle feststehenden Begriffe zerstört. In einer Gesellschaft, die auf der Negation der gesellschaftlichen Macht menschlichen Tuns gegründet ist, kann eine Theorie, die auf die Bestätigung dieser gesellschaftlichen Macht abzielt, nur negativ sein, kann nur die Negation unseres gesellschaftlichen Tuns negieren. Die negative, zersetzende, höllische Bewegung der Theorie ist gleichzeitig die theoretische Befreiung menschlichen Tuns. Das Hinwegschmelzen der scheinbaren (fetischisierten) Oberflächen ist unmittelbar und direkt die Enthüllung des Unendlichen, das verborgen liegt (die kreative Macht gesellschaftlichen Tuns). Zwischen der Zersetzung und der Sichtbarmachung des Unendlichen gibt es keine Zwischenstation. Es gibt nichts, das der negativen Bewegung der Theorie hinzugefügt werden müsste. Es gibt kein „ebenso jedoch[4].“

Meine Argumentation mag extrem, intolerant, vereinfachend („recht pauschalisierend“, wie Joachim es ausdrückt) erscheinen. Sie ist es aber keinesfalls. Gehen wir sie einmal in etwas sanfterer Form durch.

Ich nehme als Ausgangspunkt, dass wir den Kapitalismus zerstören wollen. Ich erkenne an, dass innerhalb des kapitalistischen Systems Reformen durchgesetzt werden können, nichts jedoch, was ernsthaft die unablässige zerstörerische Aggression, die der Existenz des Kapitalismus wesentlich inne ist, verhindert. Die Theorie ist folglich ein Teil des Kampfes gegen den Kapitalismus. Der Ausgangspunkt der Theorie ist ein Schrei gegen den Kapitalismus. Die theoretische Herausforderung liegt darin, diesen Schrei auszuformulieren. Ich gehe davon aus, dass Joachim diesen Ausgangspunkt teilt.

Der Kapitalismus ist kein Ding, kein System, sondern eine Form gesellschaftlicher Verhältnisse, eine historisch spezifische Form der Organisation der Verhältnisse zwischen Menschen. Er ist eine Form, die entmenschlicht. Er entmenschlicht, aber dies bedeutet nicht, dass er einem wesenhaft überhistorischen Menschen seine Menschlichkeit nimmt[5]. Menschen sind gesellschaftliche, historische Subjekte, das „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“, wie Hirsch hervorhebt. Trotzdem können wir sagen, dass uns der Kapitalismus entmenschlicht, in dem Sinne, dass er ein Prozess ist, der uns die Einheit von Absicht und Handlung nimmt, welche uns von den Tieren unterscheidet. Anders ausgedrückt, negiert der Kapitalismus die gesellschaftliche Selbstbestimmung des Menschen. Die bestimmenden Antriebskräfte in der menschlichen Geschichte erscheinen nicht als menschliches Handeln (gesellschaftliches Tun), sondern als Dinge (Geld, Kapital, der Staat) und folglich, als Menschen ohne gesellschaftlichen Bezug (George Bush, das Hollywood-Subjekt). Auf diesen Prozess der Entmenschlichung bezieht sich Marx mit seinem Begriff des Fetischismus oder der Entfremdung.

Der Kampf zur Zerstörung des Kapitalismus ist der Kampf zur Zerstörung der Entmenschlichung, zur Schaffung einer auf menschlicher Selbstbestimmung, auf der Anerkennung gesellschaftlicher menschlicher Subjektivität gegründeten Gesellschaft. Theoretisch bedeutet dies, einen Kampf gegen all die Kategorien zu führen, die die gesellschaftliche Subjektivität, gesellschaftliches Handeln, gesellschaftliche Selbstbestimmung negieren, ein Angriff auf all die Kategorien, die den Menschen-Tuenden durch Dinge ersetzen. Dies ist der Kampf aus der Hölle, der Kampf zur Zersetzung der sichtbaren Oberflächen, die die Zentralität des gesellschaftlichen Tuns negieren, die die gesellschaftliche Selbstbestimmung negieren.

Die sichtbaren Oberflächen, die fetischisierten Formen, die gesellschaftliches Tun negieren, zu zersetzen, bedeutet gleichzeitig die Unendlichkeit, die verborgen liegt, sichtbar zu machen. Die Negation gesellschaftlichen Tuns zu negieren bedeutet gleichzeitig das gesellschaftliche Tun, das negiert wird, zu befreien. Die Zersetzung der Oberflächen ist die „Intention auf Totalität“[6], von der Lukács spricht. Kritisieren heißt, theoretisch die zerbrochenen Verbindungen des gesellschaftlichen Flusses des Tuns wieder zusammenzusetzen, heißt, das was der junge Marx als „das Gattungswesen des Menschen“[7] bezeichnet hat, zu befreien. Als der ältere Marx den Wert kritisiert befreit er theoretisch die Arbeit, die den Wert produziert, aber durch ihn negiert wird.

Zu befreien bedeutet hier, etwas zu schaffen, ein Potenzial, und kein Wesen, zu befreien. Wenn man kritisiert, wird das Tun, das Subjekt enthüllt. Nicht das reine Subjekt, sondern das selbstantagonistische Subjekt, das selbstantagonistische Tun, das Tun, das seine eigene Negation hervorbringt. Als Marx den Wert kritisiert, entdeckt er keine reine Arbeit, sondern die doppelte (und selbstantagonistische) Existenz menschlichen Tuns als konkrete und abstrakte Arbeit. Es gibt kein reines Subjekt, aber das verdammt uns weder zur Untätigkeit, noch hält es uns in einem endlosen Kreislauf der Macht gefangen. Wir sind Teil des selbstantagonistischen Subjektes, und wir ergreifen in diesem Antagonismus, sowohl theoretisch als auch praktisch Partei für die Befreiung (die Erschaffung) eines selbstbestimmten gesellschaftlichen Tuns. Der Kampf gegen den Kapitalismus ist immer widersprüchlich, was eben genau der Grund dafür ist, dass er nur verstanden werden kann als ständig zersetzende Anti-Fetischisierung, kritisch und selbstkritisch, kritisierend sowohl das entfremdete Objekt wie auch das Subjekt, das dieses entfremdete Objekt produziert. Es ist eben genau wegen der Tiefenwirkung des Selbstantagonismus, die Tiefe mit der das Kapital uns durchdringt, dass die Kritik alles angreift und unaufhörlich weitergeht, alles zersetzend, was die kreative Macht des gesellschaftlichen Tuns negiert.

Die Kritik bewegt sich zersetzend, frisst sich in die fetischisierten Formen, bewegt sich ständig gegen den Fetischismus, der unablässig eindringt. Marx hat vor allem die Kategorien der Politischen Ökonomie kritisiert, aber seine Methode führt uns weiter zur Kritik der Kategorien der Politik, des Rechtes, der Soziologie, der Kritik aller gesellschaftlicher Formen, die die Macht gesellschaftlichen Tuns negieren. Die Kritik zersetzt jegliche Trennung des Seins vom Tun, der Existenz von der Konstituierung, brennt sich in die Homogenisierung der Zeit, frisst sich in die Dauer, zerstört Identität. Wahrscheinlich treibt sie uns zur Kritik aller Substantive voran, hin zu ihrer Auflösung in Verben, in einem ständigen Kampf um die Bestätigung und Erschaffung der gesellschaftlichen Selbstbestimmung menschlichen Tuns.

II Das Brennen revolutionärer Löcher

Die höllische Methode der Kritik entspricht einer gewissen Auffassung von der Revolution. Revolutionäre Praxis besteht darin, Löcher in die Herrschaft der Dinge zu brennen, Löcher in den Kapitalismus zu reißen. Es fällt mir schwer, die Revolution in irgendeiner anderen Weise vorzustellen.

Löcher in den Kapitalismus zu reißen ist keine abstrakte Fantasie. Wir machen es beständig. Wir schreien, wir küssen, wir träumen. Individuell und kollektiv sagen wir Nein zur Auferlegung des Kapitals, in der Fabrik, im Büro, auf den Straßen, zu Hause. Wir kommen mit anderen zusammen um alternative Räume zu schaffen, Zeit-Räume, in denen wir sagen, „Nein, hier nicht, hier herrscht das Kapital nicht! Hier werden wir selbst unser Tun bestimmen.“ Wir machen das auf der Arbeit, in Seminaren, in Stadtteilzentren, im lakandonischen Urwald, in Buenos Aires. Wir rebellieren. Rebellion ist ein zentrales Element des Alltagslebens. Ob wir erwerbstätig oder erwerbslos sind, es gibt Millionen Wege zu sagen, „wir wollen nicht mitmachen, wir machen nicht mit.“

Die Abscheu zwischen dem Kapital und uns beruht auf Gegenseitigkeit. In immer größerem Ausmaß stößt das Kapital Menschen aus, erzählt ihnen, dass sie dem Kapital nicht nützen, zwingt sie, sich andere Wegen zu suchen, um ihr Überleben zu sichern. Und wenn sie nicht ausgestoßen werden, so ist die beständige Drohung ausgestoßen zu werden, gegenwärtiger denn je.

Diese gegenseitigen Abscheuen treffen aufeinander, und das Problem besteht darin, wie dieses fruchtbar gemacht werden kann. Die Menschen sagen Nein zum Kapital und das Kapital sagt nein zu den Menschen und verstärkt so das Nein zum Kapital.

Wir rebellieren, aber die Rebellion ist nicht genug. Wir sagen Nein, aber das Problem ist, wie wir dieses Nein lauter ertönen lassen können, wie sich die Neins vermitteln können. Die Rebellion ist der Ausgangspunkt, aber die Frage hier ist nicht Rebellion, sondern Revolution, wie die Rebellion in eine Revolution erblühen kann. Das Nein ist ein Loch im Kapitalismus (ja, selbstverständlich ein hochgradig widersprüchliches, aber der einzig mögliche Ausgangspunkt). Wie können wir bei diesem Loch anfangen und es größer und größer machen? Wie bewegen wir uns heraus, intendieren auf Totalität? Die Stärkung des Neins ist die Bewegung der Zersetzung, der Zersetzung all der Formen und Kategorien, die das Nein negieren, die die Versöhnung des Nein mit dem Kapital befördern. Die Stärkung des Neins ist die theoretisch-praktische Bewegung aus der Hölle.

Mir fällt es schwer, die Revolution anders vorzustellen, denn als zunehmend größere Löcher in den Kapitalismus zu reißen. Selbst Revolutionsvorstellungen[8], die die Revolution als Übernahme der Staatsmacht begreifen, versuchen bloß Löcher in das Gewebe des kapitalistischen Herrschaft zu reißen. Sie haben eine doppelte Schwäche. Erstens, basieren sie häufig auf einer absurden und unhaltbaren Vorstellung einer falschen Totalität, der Vorstellung, dass Gesellschaft und Staat territorial übereinstimmten, dass die Gesellschaft innerhalb der Grenzen des Staates existiere. Und zweitens, und das ist viel grundlegender, kanalisieren sie das Nein in Formen, die dazu erschaffen wurden, das Nein mit der Herrschaft des Kapitals zu versöhnen. Sie formen das Nein, passend für ein Loch das bereits durch das Kapital vorstrukturiert war.[9] Sie gießen die Rebellion in die Form der Versöhnung.

Der Fetischismus ist der Dschungel der ständig weiter (von innen und von außen) in die Rebellionen eindringt und sie erstickt. Die Kritische Theorie ist die Machete, die auf den Dschungel einhackt.

Auch hier dreht es sich darum, voran zu treiben, durch Experimente die peinigende Frage danach, wie wir die Lichtungen im Dschungel ausdehnen können, wie wir mit dem Kapitalismus brechen können, wie wir die (immer gegenwärtige) Rebellion in die (verzweifelt notwendige) Revolution verwandeln können, immer wieder neu zu stellen.

III Ebenso jedoch? In Antwort auf Joachim Hirsch

Es sollte klar sein, dass das Ziel dieser Anmerkung nicht ist, mein Buch „Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen“ gegen Joachim Hirschs Kritik zu verteidigen. Ich gebe unumwunden zu, dass das Buch Mängel hat, dass ich der Erörterung von Foucault, Gramsci, der Regulationstheorie, der Untersuchung bestimmter Kämpfe, was auch immer, gar Althusser und Poulantzas, mehr Raum hätte geben sollen. Das ist nicht der entscheidende Punkt. Wichtig ist vielmehr, dass sich hinter den einzelnen Kritiken ein Unterschied was denn nun unter marxistischer oder revolutionaere Kritik zu verstehen sei, verbirgt. Es ist mein Ziel in dieser Anmerkung zu versuchen, diesen Unterschied deutlicher zu machen, um so die fruchtbare Debatte zu eröffnen, die wir beide gerne sehen würden.

Die wichtigste Frage liegt sicherlich in dem „ebenso jedoch“. Joachim würde wahrscheinlich mit dem Großteil des oben Gesagten übereinstimmen, obgleich er auch nicht die selbe Sprache gebrauchen würde, dann würde er aber noch ein „ebenso jedoch“ anfügen. Er erkennt die Bedeutung von Kritik an, aber versucht sie durch eine positive Analyse zu ergänzen. Er sieht Kritik nicht als unmittelbar befreiend an, sondern sucht nach Zwischenkategorien, nach Formen, das was existiert, zu theoretisieren. Darum sagt er in einem der zentralen Sätze in seiner Rezension: „Der Appell an die Negation, den Bruch mit dem Bestehenden, an das Nicht-mehr-mitmachen ist zweifellos wichtig, wird allerdings politisch weitertreibend nur, wenn er theoretisch mit einer genauen Analyse der sich verändernden Reproduktionsformen des Kapitalismus, seiner historischen Formveränderungen verbunden wird, also dem, was Holloway recht pauschalisierend als die bestehenden Verhältnisse legitimierende Theorie denunziert.“ Dies, so denke ich, ist eine zutreffende Darstellung von Joachims Ansatz. Er verbindet eine negative Kritik mit „einer genauen Analyse der sich verändernden Reproduktionsformen des Kapitalismus.“ Das war seit Jahren ein charakteristischer Zug seiner Arbeit.

 

Die Bemerkung scheint vernünftig und richtig zu sein. Wir brauchen selbstverständlich kritische Theorie, ebenso jedoch brauchen wir eine genaue Analyse der kapitalistischen Entwicklung. Bei näherer Betrachtung jedoch, löst sich der scheinbar-so-offensichtlich-richtige Satz in Bedeutungslosigkeit auf. Was bedeutet „eine genaue Analyse der sich verändernden Reproduktionsformen des Kapitalismus?“ Wie können wir negative Kritik durch eine genaue Analyse der sich verändernden Reproduktionsformen des Kapitalismus ergänzen? Negative Kritik widersetzt sich den Kategorien gesellschaftlichen Denkens und versucht zu zeigen, dass es fetischisierte Kategorien sind, Kategorien, die die Macht gesellschaftlichen Tuns verbergen. Negative Theorie versucht diese Kategorien zu öffnen, das Verborgene zu enthüllen. Wenn wir diese Kategorien (als Grundlage unserer genauen Analyse) benützen, ohne sie zu öffnen, ergänzen wir die negative Kritik nicht, sondern negieren diese, haben aktiv an der Schließung dieser Kategorien teil. Wenn wir jedoch konsistent sind und auf der Öffnung der Kategorien beharren, dann ist keine „genaue Analyse der sich verändernden Reproduktionsformen des Kapitalismus“ möglich. Das, was so sinnvoll erscheint (die Kombination von genauer Analyse und negativer Kritik), ist in Wahrheit sinnlos.

Viele der (nicht nur von Joachim) geäußerten Kritiken des Buches sagten in etwa „ja, die Erörterung des Fetischismus und der Kritik sind gut, ebenso jedoch ...“ Aber es gibt kein „ebenso jedoch“. Revolutionäre Theorie ist nichts als Kritik, eine zersetzende Bewegung direkt aus der Hölle. Der Klassenkampf ist die Bewegung des Fetischismus und gegen den Fetischismus. Außerhalb dessen gibt es nichts.

Die Vorstellung eines „ebenso jedoch“ beinhaltet, dass es einige wissenschaftliche Kategorien gibt, die jenseits der Kritik Bestand haben. Kritische Theorie sagt: „Gesellschaftliche Verhältnisse existieren in der Form von Verhältnissen zwischen Sachen.“ Welchen Platz gibt es hier für ein „ebenso jedoch“? Entweder nehmen wir die fetischisierten Kategorien, so wie sie sich darstellen, wodurch unsere „genaue Analyse“ weder wissenschaftlich noch genau wäre; oder wir kritisieren diese Kategorien um die antagonistische Unterdrückung gesellschaftlichen Tuns zu entdecken, welches diese Kategorien verbergen, wodurch unsere Analyse zwar wissenschaftlich, aber noch nicht exakt wäre. Es gibt keine Zwischenkategorien, nichts zwischen dem, was den Fetischismus reproduziert und was ihn kritisiert. So ist dieses „ebenso jedoch“ nichts als ein Spiel, eine Immunisierungsstrategie, eine höfliche Form zu sagen, „ja, ich habe deine Argumentation gelesen, aber ich verstehe sie nicht, und ernst nehmen kann ich sie sowieso nicht.“

Dass Joachim die Immunisierungsstrategie des „ebenso jedoch“ verwendet ist nachvollziehbar, denn die Stoßrichtung des Buches zielt selbstverständlich, unteren anderen, gegen ihn. Die meisten marxistischen Theoretiker leben genau in dem Reich des „ebenso jedoch“, weshalb das Buch auch für sie eine Scheußlichkeit darstellt (oder darstellen sollte). Das Furchtbare daran ist, dass das „ebenso jedoch“ unvermeidlich das stärkt, was wir alle zu zerstören suchen, denn es gründet auf dem Fetischimus, der real existierenden Illusion des Kapitalismus.

Das „ebenso jedoch“ wird selbstverständlich durch Namen näher qualifiziert: eine gute Diskussion des Fetischismus, aber du hättest noch ein bisschen von denen anfügen sollen, die das Gegenteil sagen: Gramsci, Althusser, Poulantzas, Regulationstheorie, ein wenig von diesem, ein wenig von dem. Aber das Problem ist genau das Gegenteil: wie schärfen und polieren wir unsere Theorie, so dass, so dass wir direkt und unmissverständlich kritisieren, wie schreiben wir direkt aus der Hölle, wie verdeutlichen wir unsere Argumentation?

 

Vielleicht die schärfste Kritik des ebenso jedoch ist die Kritik des paradigmatischen Ansatzes. Im Buch wendet sich diese Kritik insbesondere gegen das neueste Buch von Hardt und Negri[10], aber es trifft offensichtlich genauso auf Joachim Hirsch und all diejenigen zu, die den Kapitalismus durch das Prisma solcher Phasen wie „Fordismus“, „Post-Fordismus“ und so weiter betrachten. Und natürlich auch auf die ganze Tradition marxistischer Analyse: Marxisten haben immer versucht, die „gegenwärtige Phase kapitalistischer Entwicklung“ zu verstehen - Joachims Werk in dieser Richtung ist bloß weitaus differenzierter und anregender als der Großteil solcher Ansätze. Erneut scheint es offensichtlich richtig zu sein: selbstverständlich wollen wir wissen, wie die gegenwärtige Phase kapitalistischer Entwicklung aussieht, damit wir verstehen, was vor sich geht, und wir unsere Strategien entsprechend danach ausrichten können.

Und doch: nein. Erstens, die Phasen kapitalistischer Entwicklung zu analysieren bedeutet die Geschichte von oben her zu erzählen, die Geschichte der Herrschaft, wobei es uns doch im Gegenteil darum geht, die Herrschaft aufzubrechen, zu zeigen, wie die Bewegung der Herrschaft die Bewegung ihrer Abhängigkeit von uns ist, ihrer Abhängigkeit von der Verwandlung unseres Tuns in ausbeutbare Arbeit. Und zweitens, und entscheidender, von einer gegenwärtigen oder aktuellen Phase (oder einem aktuellen Paradigma) kapitalistischer Entwicklung zu sprechen, heißt bereits die Existenz des Kapitalismus in die Zukunft zu projizieren, ihm eine Dauer und eine Normalität zu geben, wo doch unsere Theorie sich in die entgegengesetzte Richtung bewegen sollte, um zu zeigen, dass der Kapitalismus morgen nur existieren wird, wenn wir ihn morgen erschaffen. Unser Problem besteht nicht darin, die Normalität der Herrschaft zu etablieren, sondern sie zu zerbrechen. Die Frage ist nicht so sehr, wie wir den Kapitalismus zerstören, sondern vielmehr wie wir aufhören, ihn zu produzieren.

Aber wie reden wir dann von den Dingen, die in der Welt geschehen, sagen wir mal über die Aggression der USA gegen den Irak? Indem wir die Geschichte von unten erzählen, sie als Bewegung der Abhängigkeit des Kapitals von uns und dessen Flucht von dieser Abhängigkeit begreifen. Analyse (und Geschichte) können nicht als von der Kritik getrennte Sachen aufgefasst werden, sie können kein ebenso jedoch sein. Analyse und Geschichte müssen als Teil der Bewegung der Kritik begriffen werden, als Teil der ständigen Anstrengung die „wahre Sonne“ menschlichen Tuns in einer Welt wieder zu erlangen, die dieses ständig negiert. Aber wenn wir akzeptieren, dass es häufig schwierig ist die Welt in Begriffen der Stärke unseres eigenen Tuns zu erzählen (ohne dabei allzu sehr zu vereinfachen), brauchen wir dann nicht eine Art Zwischenbericht, der uns in diese Richtung führt? Vielleicht brauchen wir das, aber dann ist dieser Bericht eine Definition, die sich selbst negiert, die auf den Punkt ihrer eigenen Überwindung verweist. Er ist keine genaue Analyse und sollte sich auch nicht als solche ausgeben. Und er sollte nicht davon ausgehen, dass morgen die Existenz des Kapitalismus etwas Normales wäre, sondern sollte vielmehr versuchen den Schrecken und das Erstaunen über die Möglichkeit, dass wir morgen die Unterdrückung, die uns zerstört wieder erschaffen können, auszudrücken. Vielleicht ist dies absurd, aber nicht absurder als die Revolution, und um die dreht es sich ja schließlich. Ohne dieses Erstaunen ist die Revolution unmöglich.

Das ebenso jedoch hat sowohl eine politische als auch eine theoretische Ebene. Die Kritiker des Buches, die sagen, dass der Fetischismus natürlich wichtig ist, ebenso jedoch, tendieren dazu, zu sagen, dass gegen Institutionen gerichtete Kämpfe wichtig sind, dass ebenso jedoch ... die Kontrolle des Staates wichtig ist. In Joachims Fall verweist das ebenso jedoch auf die unvermeidbare Dauerhaftigkeit der Fetischisierung: „Die Frage, ob und in welcher Weise eine differenzierte und freie Gesellschaft objektiver Formen, d.h. in der Tat einer spezifischen Versachlichung bedarf, dass es also möglicherweise darauf ankäme, diese nicht einfach abzuschaffen, sondern bewusst mit ihnen umzugehen, Fetischisierung also sozusagen im Hegelschen Sinne ‘aufzuheben’, wird nicht gestellt.“

Das Problem mit dem ebenso jedoch, sowohl theoretisch als auch politisch, ist, dass es den Widerspruch in der Verkleidung einer einfachen Konjunktion verbirgt. So ist theoretisch die Kritik des Fetischismus wichtig, ebenso jedoch ist die genaue Analyse auf der Grundlage fetischisierter Kategorien wichtig. Praktisch ist der antistaatliche Kampf wichtig, ebenso jedoch ist der institutionelle Kampf (und die Anerkennung der unvermeidbaren Dauerhaftigkeit fetischisierter Institutionen) wichtig. Aber nein: Analyse auf der Grundlage fetischisierter Kategorien fetischisiert, und institutioneller Kampf institutionalisiert den Kampf. Es gibt hier einen Antagonismus, der von dem ebenso jedoch einfach unter den Teppich gefegt wird. Und in der Praxis wird nicht nur der Antagonismus unter den Teppich gekehrt, sondern auch der erste Teil des Satzes, dem liebenswürdigerweise zugestanden wird, dass er wichtig sei (Kritik, gegen Institutionen gerichteter Kampf).

Offensichtlich geht es hier nicht darum, jeden Kontakt mit dem Staat, oder dem Geld, oder anderen Formen kapitalistischer gesellschaftlicher Verhältnisse zu vermeiden. Diese können ebenso wenig vermieden werden, wie unser Denken fetischisierte Kategorien vermeiden kann. Das Problem ist das wie des Kontakts. Das Problem besteht darin, wie diese Verhältnisse und Kategorien mit Würde angegriffen werden können, wie sie kritisch, in Theorie und Praxis, angegriffen werden können.

IV Schluss: Ein Sprichwort aus der Hölle

 

Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich in dieser Anmerkung nicht auf alle von Joachim Hirsch kritisierten Punkte eingegangen bin. Dies war nicht meine Absicht. Meine Absicht war vielmehr, den meiner Ansicht nach zwischen uns existierenden Hauptunterschied in der Herangehensweise aufzuzeigen. Ich habe versucht dies so deutlich als möglich zu machen. Nicht jedoch, weil ich etwa die richtige „Linie“ aufzuweisen hätte: die Theorie, genauso wie die Praxis, sind notwendigerweise experimentell, eine Frage, Teil des Kampfes zur Erschaffung einer anderen, doch unbekannten Welt. Joachim ist Teil dieses Kampfes. Innerhalb dieses Kampfes sollten wir uns eines von Blakes „Sprichwörtern der Hölle“ als Motto aneignen: Widerspruch ist wahre Freundschaft.[11]

Übersetzung: Lars Stubbe

John Holloway
Das Argument.


[1] Joachims Kommentare zu meinem Buch sind für mich von besonderer Bedeutung. Seit mittlerweile vielen Jahren (seit 1975?) bestand für mich eine der größten theoretischen Herausforderungen darin, zu versuchen gegen-und-über-Joachim-hinaus-zu-denken.Ein höheres Lob vermag ich nicht zu zollen. Dafür, und für die Kommentare zu meinem Buch, bin ich ihm unendlich dankbar.

[2] [J.H.s ursprüngliche Wortwahl ist „corrosive“, was sowohl ätzend im chemischen Sinne, als auch zerstörerisch bedeuten kann und sich auf das nachfolgende Blake-Zitat bezieht. Um allzu offensichtliche Reminiszenzen an den „Jargon“ zu vermeiden und die Funktion der Kritik zu betonen, wurde hier „corrosive“ mit zersetzen(d) übersetzt. Nicht ganz unbeabsichtigt ist selbstverständlich auch die Nähe zur „Wehrkraftzersetzung“, einem der klassischen Kampfbegriffe der (in deutscher Sprache) Herrschenden; Anm.d.Ü.].

[3] [Übersetzung entnommen: Blake, William (1996) Zwischen Feuer und Feuer: Poetische Werke, aus d. Engl. neu übers. u. m. Anm. hrsg. v. Thomas Eichhorn (München: DTV), S. 229.]

[4] [J.H. charakterisiert hier, und ausführlicher unter Abschn. III dieser Replik, mit „but also“ eine politische Position, in der die Analyse und der Klassenkampf auseinanderfallen; Anm.d.Ü.].

[5] Es ist mir nicht ganz klar, warum mir Joachim dieses vorwirft, wo doch im Buch ganz eindeutig das Gegenteil festgestellt wird.

[6] [Lukács, Georg (1923) Geschichte und Klassenbewusstsein: Studien über marxistische Dialektik (Berlin: Malik-Verlag), S. 217; Anm.d.Ü.].

[7] [Marx, Karl (1988 [1844]) Ökonomisch-philosophische Manuskripte (Leipzig: Reclam), S. 138; Anm.d.Ü.].

[8] Für eine Diskussion von Revolutionsvorstellungen heute, vgl. Werner Bonefeld und Sergio Tischler (hrsg.) "What is to be Done? Leninism, Anti-Leninist Marxism and the Question of Revolution Today", Ashgate, Aldershot, 2002.

[9] Siehe schon Foucault und seine hervorragende Kritik der Volkstribunale: „Sobre la justicia popular. Debate con los maos“, in: ders. (1992) Microfísica del Poder, (Madrid: Las Ediciones de la Piqueta). (Orig.: Microphysique du pouvoir).

[10] [Hardt, Michael/Negri, Antonio (2002) Empire: Die neue Weltordnung (Frankfurt/M.: Campus)].

[11] Ich entschuldige mich bei Joachim und anderen Leser(inne)n dafür, dass ich keine ausführliche Erörterung der Bedeutung englischer Dichtung des achtzehnten Jahrhunderts liefere. [Übersetzung entnommen: s. Fn. 3, S. 239].

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